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Was mir so durch den Kopf geht #27

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„Ambivalenz"


Mit fünfzehn Jahren habe ich das Tanzen für mich entdeckt. Das „freie Tanzen". Losgelöst von Sportlichkeit, Ambitionen und dem Drang nach Perfektion. Eine körperliche Erfüllung und eine ganz eigene Art und Form des Ausdrucks begannen sich zu manifestieren. Eine Art Lebenselixier.


Spätestens nachdem ich im Alter von achtzehn Jahren (noch während meines Abiturs) die Organisation der ersten Bewegungswerkstatt in meiner Heimatstadt – ein intensives Workshopwochenende mit sechs verschiedenen Tanzklassen und Tanzlehrern sowie über siebzig TeilnehmerInnen aus dem Südschwarzwald – erfolgreich durchgeführt und im Anschluss ein Amateur-Tanzensemble gegründet hatte – dem Tanztheater Backstage –, war die Richtung vorgegeben und klar: Mein Leben würde ich erst einmal dem Tanz widmen. Vollumfänglich. Mein Privatleben würde daher immer in der zweiten, wenn nicht sogar in der dritten Reihe spielen. In den Jahren danach haben sich ein paar wunderbare und bis heute noch anhaltende Freundschaften entwickelt, und ich bin mit vielen Kollegen immer noch im intensiven Kontakt. Beziehungstechnisch hingegen war vieles meist eher vage und nicht von langer Dauer. Ortswechsel und die Ungewissheit, wo es als Nächstes hingehen würde, waren hier nicht gerade förderlich.


Es sind nun über vierzig Jahre, in denen ich für den Tanz lebe. Dennoch hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren einiges verändert. Das Leben, das private Ich, hat sich immer mehr durch die Ritzen, Lücken und Leerstellen gezwängt, mir immer wieder Bodenhaftung gegeben und schlussendlich ein Gleichgewicht hergestellt, das dem Tanz, dem ganzen künstlerischen Dasein, einen Gegenpol entgegenstellt, ihm die Stirn geboten hat. Ein Balanceakt, nicht immer einfach zu handhaben, aber machbar. Und auch gesünder. Für Psyche, Physis, aber auch für die Seele.


Das kreative Schaffen, dieses Eintauchen in eine imaginäre Welt, das Vermitteln dieser Visionen an andere Tänzer, Künstler und an das Publikum, das absorbiert so viel Raum, Energie und Zeit. Lebenszeit. Man kann sich darin verlieren. Den Bezug zum Menschsein auch. Insbesondere, wenn der Erfolg spürbar, der Zuspruch überwältigend und die Karriereleiter immer weiter nach oben zu führen scheint.


Natürlich ist da auch das Gefühl und diese Besonderheit, auf einer Bühne zu stehen, vor anderen Menschen sich ohne große Einschränkungen zu präsentieren, zu experimentieren und aus dem Innersten heraus zu verkörpern. Fast schon ein Privileg. Und dann gibt es da noch den Applaus, die Zuwendung – das Brot des Künstlers (auch wenn das nicht gerade erstrebenswert klingen mag) –, was einer Art Bewunderung und Respektsbekundung gleichkommt. Etwas, das man nicht unbedingt konservieren kann, aber das man irgendwie vermisst, wenn es zu lange nicht mehr stattfindet.


In den letzten fünfzehn Jahren habe ich mich hier recht zurückgezogen. Das Choreografieren auf wenige Ereignisse beschränkt. Auch der Drang, sich über choreografische Arbeiten auszudrücken, Geschichten zu vermitteln, sich mitzuteilen, der ist weniger geworden. Die Zeit zu Hause oder in einem geschützten Raum mit Partner, Hund und Freunden oder Familie zu verbringen, fühlt sich meist wertvoller und erfüllender an.


Dennoch gibt es dann die Momente, in denen so etwas wie Wehmut aufkommt; das Vermissen dieser aktiven, fast schon überschäumenden Phase des Kreierens, des Kommunizierens, Organisierens. Zuzuschauen, wie sich Stück für Stück ein Ganzes erschließt, sich ein kleines, neuerschaffenes Universum vor einem auftut. Dieses Eintauchen und das Veröffentlichen. Die Aufregung, ob es ankommt, ob es den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen vermag, die Reaktionen von Kollegen und Fachleuten. All das, die Aufmerksamkeit, der auf einen gerichtete Fokus, hat sich eingeprägt und ist zum Bestandteil einer langen und wichtigen Lebensphase geworden. Ich kann das nicht einfach so wegstecken und tun, als ob das nicht mehr wichtig wäre. Diesen Nervenkitzel, aber auch Stress, mit allen Höhen und Tiefen einfach abzuklemmen. Das bedeutet auch Leben und das Ausloten von Grenzen (inklusive aller möglichen Grenzüberschreitungen, im Positiven, wie im Negativen). Und doch: Sich nur dem Tanz zu verschreiben, bedeutet auch Verzicht. Verzicht auf Alltäglichkeit, auf Wurzeln, auf das stille Glück der Routine.


Gleichzeitig spüre ich aber auch eine Erleichterung. Die Erleichterung, nicht mehr diesem permanenten Sog ausgesetzt zu sein, der einen vollständig verschlingen kann. Der Druck ist gewichen. An seine Stelle ist eine innere Ruhe getreten, die es mir erlaubt, bewusster zu wählen – wann ich eintauche und wann ich auftauche. Die Frage ist also nicht mehr entweder-oder, sondern wann-und-wie-viel.


Ich weiß aber auch, dass es sehr schwer ist, hier einen Mittelweg zu beschreiten. 50/50 geht nicht immer. Entweder-oder? Und wir wissen ja: Auf jede Aktion folgt eine Reaktion. Also dosieren lernen oder besser gesagt, abwechselnd sich auf die Kunst und dann wieder auf das Leben einlassen. Ob das die Lösung ist, kann ich nicht sagen.


Ich bleibe auf jeden Fall dran, weil ich mittlerweile verstanden habe: Die Ambivalenz ist nicht das Problem, sie ist Teil der Lösung.

 
 
 

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