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Was mir so durch den Kopf geht #19

  • info555080
  • 22. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Die Relativität von Glück


Ihr kennt das bestimmt: Man fühlt sich nicht wohl, fühlt sich gar übergangen oder sogar über den Haufen gefahren. Unverstanden, ignoriert oder man war einfach in diesem Moment zu schwach, um für sich selber einzustehen und wenn nötig, für seine Sache zu kämpfen. Schnell formuliert man: Ich bin unglücklich.


Irgendwo im Körper schmerzt etwas, man kann es nicht so richtig zuordnen. Physisch, psychisch, seelisch. Auf jeden Fall möchte man aus dieser Situation heraus, ihr entfliehen und am besten in ein Vakuum gleiten, wo man nicht behelligt wird, niemand etwas von einem will, man sich nach niemandem richten muss. Also ein eremitisches Dasein pflegen, mit dem Wissen, dass man nicht einsam ist, sondern sich bewusst abgesondert hat, um Abstand zu bekommen. Und danach eventuell sich mit frischer Kraft der Situation stellen oder mit etwas ganz anderem, etwas neuem beginnen.


Und wenn man sich dann diese Szene genauer vor Augen führt, muss man feststellen, dass sie in Relation zu vielen Dingen, die im selben Augenblick weltweit geschehen, so etwas von belanglos, beinahe bemitleidenswert winzig erscheint, dass man sich wirklich die Frage stellen muss:

War es diesen ganzen emotionalen Zinnober, dieses Sich-Aufregen, um sich wieder abregen zu müssen, diese Achterbahn aus Hirnwindungschaos und dieses Sich-Klein-Machen und Nichtigfühlen wert? Wegen eines scheinbar schwerwiegenden „Luxus-Problems" – wegen der quälenden Entscheidung zwischen der cremefarbenen oder der hellgrauen Tapete für das Wohnzimmer, die einen seit Wochen umtreibt, oder wegen der halbstündigen Diskussion darüber, ob man heute Abend zum Italiener oder doch lieber zum Thai-Restaurant geht –, das wirklich keinerlei existenzielle Berechtigung besitzt – weil es abgehoben, belanglos, cholerisch, dumm, eigennützig, fehlerhaft, geringfügig, heuchlerisch, idiotisch, jovial, kleinbürgerlich, lapidar, memmenhaft, nörglerisch, obskur, periodisch, quengelig, rührselig, scheinheilig, tugendlos, unverschämt, verlustvoll, weinerlich, xenophob, yuppiesk, zimperlich erscheint.


Ich weiß, alles steht in Beziehung zu Ursache, Verlauf und möglichen Enden. Insbesondere geht es um die Perspektive. UND um Erwartungen. An sich selber, an andere oder das große Ganze.


In genau diesem Moment ist man sich am nächsten. Empfindet die Enttäuschung oder die Leere am stärksten. Da hilft es nicht, wenn man sich hungernde Kinder in Afrika oder aktuell im Gaza-Streifen vor Augen führt. Wenn man Kriegsnachrichten und Bilder aus der Ukraine in den Medien verfolgt oder aus dem engsten Freundeskreis von Krebsdiagnosen oder anderen schwerwiegenden Krankheitsbildern erfährt, die einem die eigene Gesundheit, das Wohlbefinden und den dramalosen Alltag vor Augen führen und alle Probleme eigentlich zu einem winzigen Klacks reduzieren sollten, der mit einer Handbewegung vom Tisch gefegt werden könnte.


Nein, man bleibt in seiner Blase und widmet sich diesem Gefühl der Hilflosigkeit, der Negativität und der Trauer über die überwältigende Ohnmacht, die man nicht los wird.

Denn eines ist gewiss: das Leben bleibt wellenförmig, denn nach dem Spiel ist vor dem Spiel, denn nach dem Regen kommt die Sonne, denn nach dem Hinfallen kommt das Aufstehen ... und alles, was wir er- und durchleben macht Sinn, denn nur so lernen wir etwas, entwickeln uns weiter. Sollten wir zumindest. Und wenn nicht, dann vielleicht beim nächsten Mal. Oder übernächsten Mal. Oder ...


Denn ganz ohne Gefühle, Wut, Trauer, Ohnmacht und Verlust würden wir all das Positive, das Gelingen, den Erfolg, den Moment des Innehaltens und Genießens, die Liebe und das Aufgefangenwerden nicht zu schätzen wissen. Zu allem gehört das Gegenstück. Yin und Yang. Sonne und Mond. Licht und Schatten.


Jaja, ich höre schon auf, bin heute wohl etwas melodramatisch unterwegs. Da wird man sentimental, beinahe kitschig und vergreift sich in der Wörterkiste. Zumindest hier und da.

Aber ihr wisst bestimmt, was ich meine ...


Jochen, herzlich

 
 
 

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