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Was mir so durch den Kopf geht #15

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  • 22. Sept.
  • 6 Min. Lesezeit

WIE GESPENSTER


... war der Titel einer meiner ersten Kurzgeschichten, die mir immer noch sehr gut in Erinnerung geblieben ist. Dabei handelte es sich um einen Mechaniker für Aufzüge, der die Lifts im Augsburger Hotelturm (mit 35 Stockwerken das höchste Gebaäude in der Stadt) betreut und wartet. Dabei sitzt er des Öfteren ganz oben auf dem Flachdach neben der riesigen Antenne und beobachtet aus luftiger Höhe die Stadt beim morgendlichen Erwachen, während er sich mit einer Krähe unterhält. Er arbeitet meist spät nachts, wenn kaum jemand die Lifts benötigt, und ist froh, niemanden während seiner Arbeit und auch später auf dem Nachhauseweg untertags zu begegnen. Er lebt sehr zurückgezogen, ohne dabei depressiv zu sein, genießt das Leben inmitten einer Stadt, ist Beobachter und Interpret mit seiner ganz eigenen Weltanschauung – und gleichzeitig befindet er sich in einem beinahe eremitischen Zustand.


Würde ich heute eine Interpretation wagen, war es mein Ausdruck über einen Künstler in seinem Elfenbeinturm zu sinnieren, der darum weiß, dass seine Kunst so lange brotlos bleibt, so lange er sie nicht nach außen wirkungsvoll vermarktet (oder es jemand für ihn tut) und er nie entdeckt oder für seine Arbeit geschätzt wird, so lange er unsichtbar bleibt, sich versteckt. Wie ein Gespenst, das zwar da ist, aber nicht gesehen wird – oder vielleicht auch nicht gesehen werden will.


Der Schriftsteller Patrick Süßkind hat mit seinem Roman „Das Parfüm" einen solchen Ruhm eingefahren (auch durch die Verfilmung), dass er sich ab da zurückgezogen hat und seitdem kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Er hat zahlreiche Ehrungen, Preise und Angebote für neue Werke abgelehnt und lebt beinahe unbehelligt bei München und im Süden Frankreichs. Gut, er kann es sich leisten, und in den Achtziger und Neunziger Jahren gab es noch keine Social Media und digitale Optionen, wo man sein Leben zur Nabel-Schau stellen konnte, wie wir es alle heute gewohnt sind. UND: Er hat damals für seine künstlerische Arbeit wohl genügend Geld erhalten, um sich ein solch anonymes Leben leisten zu können.


Da stehen viele von uns nicht. Gerade in der heutigen Zeit ist man stets darum bemüht, in aller Munde zu bleiben, sein Netzwerk zu pflegen, neue Türen zu öffnen und Wege zu finden, seine Arbeit, sein Wissen, sein Können an ein Publikum zu bringen, beziehungsweise mit den Institutionen in Kontakt und in deren Erinnerung zu bleiben, damit man am Ball bleibt, kontinuierlich wahrgenommen wird. Nur so hat man die Chance, Jobs zu erhalten und Geld zu verdienen.


Ich erinnere mich, wie ich im ersten Jahr meiner Ballettdirektion am Theater Augsburg mit den zahlreichen Anfragen von Tänzern, Choreografen oder Ballettmeistern überfordert war. Meist kamen die Anfragen für Jobs per Post, seltener per E-Mail herein. Unter anderem war auch Marco Goecke, der mittlerweile international renommierte, aber auch durch seine Hundekot-Attacke auf eine Kultur-Journalistin „geächtete“ Choreograf dabei. Sein damaliges Bewerbungsvideo mit einem seiner frühesten Werke tauchte beim Aussortieren meines Archivs wieder auf. Und ich weiß, dass ich ihm damals nicht geantwortet habe und glaube sogar, nicht einmal sein Video angeschaut zu haben. Wie gesagt, ich war damals mit den zahlreichen Aufgaben und neuen Verantwortungen etwas überfordert, musste erst meinen Weg finden, mich in all diesen Positionen und Verpflichtungen zurechtzufinden. Spätestens ab dem zweiten Jahr hatte sich das aber geändert und jedem Bewerber wurde geantwortet – soweit die Bewerbung auch an mich, das Ensemble/Theater und mit klarer persönlicher Anrede und Basis-Kenntnissen über den Stand der Dinge vor Ort formuliert war. „To whom it may concern" oder einen meiner Vorgänger als Adressat zu erwähnen war also definitiv ein Killerargument, das Schreiben im Papierkorb landen zu lassen.


Nun ist es mir in meiner Karriere oft genug passiert, dass ich selber nie eine Antwort erhalten habe. Selbst an Orten, wo ich dachte, dass ich Kontakte habe, beziehungsweise Bezugspersonen vor Ort waren, denen man bei nächster Gelegenheit wieder über den Weg laufen würde. Ich empfand das schon immer als seltsam und zu einem gewissen Grad respektlos, denn selbst in meiner Überforderung im ersten Jahr am Theater Augsburg habe ich allen, die ich irgendwie kannte (und sei es nur flüchtig), geantwortet. Und wenn es nur ein Dreizeiler war. Aber die Korrespondenz war gewährleistet und die andere Seite konnte die Anfrage abhaken, am Ball bleiben oder sich über meine geweckte Neugier freuen.


Mittlerweile greift diese Unart „sich-nicht-zurückzumelden", keine Antwort zu leisten  oder auf irgendwelche selbst erstellten Regeln zu beharren (wie z.B. bei Verlage, Agenturen) wie eine Seuche um sich. Der Begriff „Ghosting" kommt mir in den Sinn – und damit schließt sich der Kreis zu meiner alten Geschichte. Auch wenn dies eine eher abrupte und meist in romantischen Beziehungen existierende Form ist, den anderen abzugrenzen, keinen Kontakt mehr zu pflegen, sich zu verweigern oder gar verneinen zu lassen. Jegliche Kontaktoption abzubrechen. Eine Art Selbstschutz, der die andere Person komplett vor den Kopf stößt. Eine Aussprache oder Klärung der Situation unmöglich macht und das Problem oder den wahren Grund nie ans Tageslicht kommen lässt. Oder einfach gar nicht zulässt, überrascht zu werden. Etwas zu entdecken, was einem das Ignorieren oder Ausblenden nicht zugesteht. Man blind und taub für etwaige Optionen wird, die eben nicht der Norm entsprechen.


Wie Gespenster werden wir behandelt – oder behandeln andere wie Gespenster. Wir machen uns unsichtbar, anstatt zu kommunizieren. Eine Vorgehensweise, die mir in keiner Weise entspricht. In den letzten Jahren habe ich dies nicht nur privat oder im Beruf mehrfach erleben müssen, sondern mittlerweile auch gelernt, dies nicht mehr allzu persönlich zu nehmen. Es eher als das Problem der anderen Seite zu sehen. Denn meine Bereitschaft zu kommunizieren, Dinge zu klären, auf den Grund zu gehen und dabei neugierig zu bleiben oder eigene Fehler zu entdecken und einzugestehen, sowie gemeinsam Lösungen zu finden, ist für mich ein ganz wichtiger Entwicklungsprozess und Teil der Arbeit an meiner Persönlichkeit.


Gerade in den letzten anderthalb Jahren ist es mir wieder aufgefallen, dass ich von mehreren Personen aus der aktuellen Schweizer Tanzlandschaft einfach gemieden werde. Menschen, mit denen ich teils mehr, teils weniger zu tun hatte, die mich seit langem kennen oder über meine Arbeit oder Geleistetes sehr wohl wissen. Unsere Kontakte standen nie in einem negativen Kontext. Im Gegenteil. Aber ich werde ignoriert, bekomme keine Antworten, trotz mehrerer Gespräche, Anregungen oder Ideen. Werde bei bestimmten Veranstaltungen außen vorgelassen.


Bei mir gibt es eine Regel, dass ich mich maximal drei Mal bei jemandem melde. In größeren Zeitabständen. Und dann ist Schluss. Kein Nachfassen mehr, keine nochmaliges Anrufen, Anschreiben oder plötzliches vor der Tür auftauchen. Weiß ich doch selber um die Intensität und das Arbeitspensum vieler dieser Personen. Aber ich bin kein Bittsteller. Ich offeriere etwas (und das darf ich mit großer Bestimmtheit nach über 35 Jahren als erfolgreicher Theater- und Kulturschaffender sagen). Darauf nicht zu reagieren oder mich gar zu ignorieren, zeugt nicht von einem respektvollen Umgang mit mir, lässt in gewissen Punkten Loyalität vermissen oder zeugt von fehlender Bereitschaft zu kommunizieren, was unabhängig von der Zeit, in der wir stecken,(meiner Meinung nach) einfach ein No-Go ist.

Mir hat vor kurzem jemand gesagt, dass diese Personen eventuell Angst vor mir haben. Und ich konnte nur antworten: Angst vor was?


Vor meinem Erscheinungsbild? Vor meiner Art zu sprechen oder zu schreiben? Vor meinem Wissen oder meiner Unwissenheit? Vor meiner Direktheit, die ich immer versuche in einer gewissen Form der Diplomatie zu vermitteln? Vor dem, dass ich ihnen den Rang ablaufen könnte? Vor ihren eigenen vermeintlichen Schwächen oder meiner vermeintlichen Stärke?

Klar habe ich Ziele und dafür stehe ich ein und versuche mein Bestes sie zu erreichen. Aber ich bin weder skrupellos, noch berechnend oder gehe über Leichen. Das entspricht in keiner Weise meinem Wesen oder meiner Art mit anderen Menschen umzugehen.


Nun, ich bin auf der einen Seite Künstler und ziehe mich gerne in meinen Elfenbeinturm zurück, mag dann für mich allein sein und genieße diese Augenblicke der Einsamkeit. Aber ich bin auch jemand, der sich gerne vermittelt, der seine Gedanken, seine Erfahrungen und sein Wissen/Unwissen nach außen trägt. Sie mit anderen teilt und den Austausch pflegt. Ein Balanceakt. In vielerlei Hinsicht.


Vielleicht ist das der Unterschied zwischen einem gewählten und einem aufgezwungenen Gespenstdasein. Zwischen bewusster Einsamkeit und unfreiwilliger Isolation. Zwischen dem Rückzug als kreative Notwendigkeit und der Verweigerung als Kommunikationsvermeidung.


Mein Lift-Mechaniker auf dem Augsburger Hotelturm hatte die Wahl. Er suchte die Einsamkeit, um zu beobachten, zu reflektieren, zu verstehen. Er war kein Gespenst – er war ein Beobachter des Lebens. Und wenn er wollte, konnte er jederzeit wieder hinabsteigen in die Welt der Menschen.


Wir alle sollten diese Wahl haben. Den Elfenbeinturm als Rückzugsort zu nutzen, wenn wir ihn brauchen, aber auch die Türen zu öffnen, wenn jemand anklopft. Kommunikation ist keine Einbahnstraße – sie lebt vom Geben und Nehmen, vom Sprechen und Zuhören, vom Sich-Zeigen und Gesehen-Werden.

Wie Gespenster zu werden ist eine Entscheidung. Andere wie Gespenster zu behandeln auch.


Jochen, herzlich

 
 
 

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