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Was mir so durch den Kopf geht #25

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  • vor 19 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit

Die Sache mit der Entropie“


Manchmal kommt das Leben mit dem Hammer daher und hinterlässt ein Loch, das man weder verstehen noch in irgendeiner Weise nachvollziehen kann. Ein Vakuum entsteht, in dem man Zeit und Raum nicht definieren kann, in dem alles Alltägliche zurückgedrängt wird. Als ob man in einem Schnellzug sitzt, die Landschaft an einem vorbeirast, man nur schemenhaft wahrnimmt, was da draußen existiert und sich nur in seinem eigenen Gedankenfluss befindet. Wobei Fluss wohl der falsche Begriff ist. Es ist mehr eine Art Unordnung, nicht unbedingt Chaos, aber auch keine geordnete Struktur, die sich ohne Vorhersage einfach verändert, unvorhersehbar, plötzlich und vor allen Dingen ohne jegliche Vorwarnung. Gedanken stürzen über einen ein, treffen einen, schrammen an dir vorbei oder verflüchtigen sich, ohne dass du sie wirklich zu greifen bekommen hast.


Ein Kollege, ein langjähriger Wegbegleiter im Tanz. Ein Mensch, der sein Leben der Ballettkunst verschrieben hat, als Tänzer und Solist zuletzt an der Bayerischen Staatsoper in München geglänzt hat, in Zürich an der SBBS und ZHdK als Dozent viele junge Talente auf den Weg gebracht hat. Ein Mensch, den ich seit fast 30 Jahren kenne und schätzen gelernt habe, ist tot. Er war nur wenige Jahre älter als ich, und er hätte im neuen Aus- und Weiterbildungsprogramm an der Joy of Dance Academy in Rapperswil-Jona (CH) als Ballett-Coach starten sollen. Wir hatten noch vor Kurzem telefoniert und über den anstehenden Workshop gesprochen. Und plötzlich bekommt man die Nachricht, dass dieser Mensch gestorben ist. Ohne nähere Informationen. Man steht da, lässt alles Revue passieren, analysiert letzte Gespräche, Textnachrichten und fragt sich, was wirklich passiert sein könnte.


Der Gedanke an die Kürze des Lebens, die Unwägbarkeiten und die schiere Unmessbarkeit der Gegenwart (der messbare Moment der Gegenwart beträgt scheinbar maximal 2,7 Sekunden) überwältigen einen. Man ist bemüht, seinem Leben einen Sinn nachzuweisen und eine Perspektive aufzuzeigen, sich Mut zu machen, dass alles, aber auch alles noch Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte dauern wird. Wobei auch hier das Wissen um jegliche überraschende und jähe Wendungen wie ein Damoklesschwert über einem schwebt, gerade wenn man im weiteren Umfeld immer wieder von schweren und meist unerwarteten Erkrankungen, Unfällen oder anderen Schicksalsschlägen erfährt.


Wie lange dauert dieser Zustand? Wie lange bewegen wir uns in diesem Raum der nicht greifbaren Gedanken und Gefühlswirbel?


Im Moment drängt sich die Realität durch die Ritzen, durchbricht den Wust an Kopfkino und kehrt wie ein Besen alles raus, klärt den Raum und hilft, sich wieder auf sich selbst und die Gegenwart, wenn nicht sogar auf die Zukunft zu fokussieren. Diese Augenblicke des Innehaltens, Durchwirbelns und anschließenden Klärens sind wie eine Katharsis, die einen sein eigenes Leben etwas geraderücken lassen. Die Perspektive wird geändert, genauer oder einfach wahrhaftiger.


Vielleicht ist das die Sache mit der Entropie. Dass wir die Unordnung nicht verhindern können, aber wir können entscheiden, wie wir mit ihr umgehen. Mein Kollege hat sein Leben dem Tanz gewidmet, hat Spuren hinterlassen in den Menschen, die er mit seinem Tanz, seiner Interpretation begeistert und später unterrichtet und auf so vielen Ebenen inspiriert hat.

Das ist es, was bleibt, wenn die Entropie ihren Lauf nimmt. Nicht die Vorhersehbarkeit, nicht die Kontrolle, sondern die Spuren, die wir hinterlassen. Die Verbindungen, die wir knüpfen. Die Augenblicke, in denen wir wirklich da waren.


Und genau das macht den Unterschied zwischen bloßem Existieren und wirklichem Leben.

 
 
 

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