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Was mir so durch den Kopf geht #14

  • info555080
  • 22. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

DIE RUHE VOR DEM STURM

-

oder bin ich schon mitten im Auge des Orkans?


Es ist soweit. Die ersten Kisten sind gepackt, und in die neue Wohnung gekarrt. Vieles entrümpelt, aussortiert und entsorgt oder beiseite gelegt. Die endgültige Entscheidung über Daumen hoch oder runter darf noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen. Generell ist vieles organisiert und wirkt so, als würde alles ohne großes Kopfzerbrechen über die Bühne gehen können. Fast fühlt es sich an wie ein Bühnenstück.


Erst die Idee, dann das Brainstorming, die darauffolgende Konzeption, die ersten Akteure werden gecastet und engagiert, instruiert und mit Material bestückt. So manch eine Probe wird umdisponiert, von hinten nach vorne, von vorne nach hinten, gestrichen oder durch Neues ergänzt. Die Anfangsidee wird verworfen, dann erfolgt irgendwann eine 180°-Wendung und es geht zurück zum Start. Die finalen Proben nahen und die Premiere ist ein fester, aus tausenden von Gründen gebuchter Termin, an dem nichts zu rütteln ist.


Im Theater habe ich das zig Mal durchexerziert. In meiner ganzen Laufbahn gab es nur ein einziges Mal eine Verschiebung der Premiere um 14 Tage nach hinten. An diesem Disaster waren aber weder ich noch meine Tänzer Schuld. Es war eine misslungene My Fair Lady - Produktion, in der ich kurzfristig als Choreograf und teilweise als Regisseur einspringen musste und somit nicht genügend Zeit hatte, meinen eigenen Tanzabend fristgerecht fertigstellen zu können.


Was aber das Besondere oder manchmal auch Tragische an dieser Unverückbarkeit der Termine im Theater ist: Man beginnt häufig Kompromisse zu schließen. Hier überhastet, da mit zu wenig Beharrlichkeit oder dort im Unwissen, was wirklich eine bessere Lösung hätte sein können. Und somit kommt das eine oder andere Werk auf die Bühne und ist eigentlich noch nicht fertig, es mangelt an Details oder es fehlt einfach der Feinschliff. Zudem mindern die Kompromisse das ursprünglich erdachte Szenario. Gut, andererseits hat sich manch eine Ersatzlösung plötzlich als der geniale Einfall erwiesen – und das oft schneller als gedacht. Licht und Schatten. Hoffnung, Wunschvorstellung, Realität und der Boden der Tatsachen.


Anders auf dem Bau. Im privaten Leben. Trotz der detaillierten Angaben und Kommunikation mit den Gewerken, die die Umbauten vorgenommen, die Möbel gebaut und installiert, Wände gestrichen, Licht angebracht haben, usw.. Alles ohne Zeitangaben oder klar kommunizierten Fristen, da dies im Handwerk nicht wirklich zuverlässig funktioniert. Eher auf Zuruf, mit unkalkulierbaren Wartezeiten auf Bauteile oder darauf, dass der Handwerker wirklich auch an dem geplanten Tag vor der Tür steht, wie gedacht. Im Vergleich zum Theater: eine komplett verkehrte Situation. Aber: Dinge werden so lange geprüft und Lösungen angepeilt, dass man am Ende sehr nahe an das herankommt, was man sich vorgestellt hat. Kompromisse? Minimal oder zumindest mit einer Ersatzlösung, die wirklch taugt und stimmig ist.


Und nun: Wir begeben uns in ein neues Reich, beziehen ein Zuhause, das sich am Anfang sehr fremd anfühlen wird. Es ist, als würde man eine schöne Suite in einem tollen Hotel beziehen. Man erfreut sich an einzelnen Objekten, Farben oder Materialien, da man ähnliches kennt, oder gar in den eigenen vier Wänden besitzt. Reminiszenzen an den eigenen Geschmack, die unbändige Lebenslust und persönliche Ästhetik. Aber es ist nicht das eigene. Geborgt und auf Zeit. Doch das hier, dieser Wohnraum, der gerade entsteht, wird wohl für viele weitere Jahre das neue Heim sein. Unser neues Heim. Der Ort, an dem wir uns wohlfühlen sollen, zu dem das Herz uns jederzeit hinzieht und wo die Seele verweilen möchte.


Momentan befinde ich mich wie in einem Flugzeug, mitten in den Wolken. Meilenweit vom Boden entfernt, irgendwo in der Höhe. In diesem Korridor der Zeitlosigkeit. Oder fast schon Ahnungslosigkeit. Man ist nicht mehr so richtig da und noch nicht richtig dort. Man schwebt zwischen den Welten.


Und was sich gerade ruhig anfühlt, kann im nächsten Moment schon umschwenken und zu einem heftigen Gewitter, Sturm oder gar Orkan werden. Über einen hinwegbrausen, alles zerzausen und eine Schneise des Chaos hinterlassen. Zeitlich, emotional und räumlich.

Nun, ich bin gewappnet, so denke ich zumindest, und harre der Dinge, die da in den nächsten Wochen kommen mögen.


Vielleicht bleibe ich einfach im Auge des Orkans, erledige meine Sachen und wünsche mir, dass irgendjemand kommt, den Orkan wie einen Deckel hochlupft und alles um mich herum in Ordnung ist.


Das wird, sage ich in solchen Situationen immer, und wenn ich auch nicht unbedingt an einen bestimmten Gott glaube: Dass es wird, daran glaube ich auf jeden Fall.


Jochen, herzlich

 
 
 

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