Muss ich Tanz immer verstehen?
Ist Tanz nicht einfach nur Körper, Emotion und Musik?
Ich erinnere noch gut an meine ersten Choreografien, insbesondere abendfüllenden Produktionen. Nach dem dritten Werk am Beginn meiner Laufbahn kam meine Mutter auf mich zu und meinte: „Die ersten beiden Abende habe ich viel besser verstanden, konnte die Szenen, das Getanzte und Bilder zuordnen, irgendwie mit Selbsterlebten abgleichen. Dieses Mal ist das echt schwierig gewesen.“
Daraufhin habe ich mich mit ihr zusammengesetzt und sie aufgefordert, mir alles zu erzählen, was sie so gespürt, gesehen und wahrgenommen hat.
Über eine Stunde berichtete sie mir von ihren Eindrücken und erzählte von ihrem Erlebten. So viele Bilder und Interpretationen kamen dabei herüber, Dinge, die ich selber darin gar nicht gesehen habe oder gar animieren wollte. Ich war so angetan und fand es äusserst spannend mitzubekommen, was sie alles erlebt hat und konnte ihr nur bestätigen, dass ich das toll finde, was sie dort alles hineininterpretiert und für sich wahr-, bzw. emotional mitgenommen hat. Das war sehr viel. Und wie oft passiert dies in anderen Kunstsparten, dass die eigenen Sinne so in Anspruch genommen werden, besonders sich das physisch Erlebte so an die eigenen Erfahrungen, an das Innere andockt und einen noch Stunden später die Schwingungen spüren lässt.
Ich glaube und kann aus Erfahrung sagen, dass man sich beim Tanz oder einem choreografischen Werk viel mehr auf die Situation einlassen muss. Reinsitzen, zuschauen, mitnehmen, empfinden, geniessen, fühlen, nachfühlen, seine Sinne wie Antennen ausfahren und dann von dort aus seinen Quellen, seiner Intuition vertrauen, eigene Bilder kreieren und ihnen nachgehen. Dann kann man auch Aussagen tätigen und in einen Dialog treten. Man muss nicht immer alles gleich verstehen – und wer weiß, vielleicht hat sich der Choreografierende dabei selber nicht ganz verstanden.
Dementsprechend: geht Tanz schauen, besucht viele Vorstellungen, lasst euch darauf ein, lasst es auf euch wirken - ohne, dass man es immer gleich verstehen muss.
Umso mehr man sieht, umso unterschiedlicher die Werke sind, desto mehr trainiert ihr eure Betrachtungsweisen, entwicklet einen Instinkt für das Wesentliche und taucht mehr in diese wunderbare Kunstform ein.
Keep on moving and watching.
Bis dann und Tschüß!
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