In meinem Roman „tanzen fallen fliegen“ treffen verschiedene Themen aufeinander. Unter anderem erzähle ich vom Coming-out des jungen Tänzers Julian.
Während des Schreibens habe ich mich des Öfteren gefragt, was denn damals so anders war im Vergleich zu heute: Wie habe ich meine eigene Entdeckungsreise empfunden? War es schwieriger, komplizierter oder einfach nur anders seine Sexualität zu erkunden, sie zu hinterfragen. Sich auszuprobieren und frei genug zu fühlen, es einfach zu tun.
Oder sind manche Dinge immer noch genauso: irritierend, verletzend, verstörend, stigmatisierend, eventuell sogar komplexer?
Die heutige Definition von Vielfalt - also Diversity -, den äußerst komplexen Auffassungen von Geschlechtern, deren Benennungen und Zuordnungen, bereitet nicht nur vielen Menschen in unserer heutigen Gesellschaft, sondern auch mir Schwierigkeiten. Dabei geht es meist weniger um den Fakt an sich, dass jemand sich selber bestimmen und benennen möchte. Dass sich ein Mensch anders bestimmt fühlt, ob nun im falschen Körper, das selbe Geschlecht bevorzugt, sich keiner gesellschaftlichfestgelegten Ordnung einfügen kann/möchte sind existent und dies gibt es schon lange. Mit Sicherheit selten so offen diskutiert und nach außen getragen wie heutzutage.
Doch was mich stört, ist der oft sehr martialische Auftritt, die generellen Forderungen und Änderungen, die dann auch noch adhoc von allen umgesetzt werden sollen; die Sprache soll angepasst werden, somit wird die Ansprache von Menschen oft zu einem Vabanque Spiel. Man traut sich teils gar nicht mehr jemanden anzusprechen. Oder murkst mit der Sprache herum. Verheddert sich in Floskeln, oder gar Rechtfertigungen, die einen schnell in die falsche Ecke stellen. Man wird als Ignorant oder Uneinsichtiger abgestempelt. Dabei ist die Bereitschaft, der Respekt und Offenheit meist gegeben, der betreffenden Person respektvoll zu begegnen. Da kann ich aus eigener Erfahrung berichten.
Was für mich hier passiert, ist eher das Festlegen von neuen Normen, Formen und Gefäßen. Die Betitelung und das in Schubladen stecken, was mich irritiert. Da werden Normen zu Gesetzen, die eher einengen, als dass sie öffnen. Das Individuelle, das so mühsam nach außen gedreht wurde, wird nun zu einem Stempel, der die Freiheit einschränkt, so zu sein, wie man sein möchte, ohne gleich jede Person um einen herum einbeziehen zu müssen. Zudem ist mir freigestellt, inwieweit ich mich mit diesem Thema auseinandersetzen möchte oder gar muss.
Für mich gilt: Leben und leben lassen.
Als sich mir im Laufe der achtziger Jahre die Frage nach meiner Sexualität, nach eventuellen Vorlieben oder partnerschaftlichen Konstellationen gestellt haben, war u.a. AIDS das große Thema, das die ganze Gesellschaft in Aufruhr versetzte. Recht schnell waren die Schuldigen gefunden: die Schwulen waren für Jahre, wenn nicht sogar bis heute dafür stigmatisiert. Zudem war zu meiner Zeit der Paragraf §175 noch im Gesetz verankert.
Das macht was mit einem, besonders, wenn man gerade am Ausprobieren, am Suchen war. Es hält einen zurück. Man hat Angst abgestempelt zu werden, einer wie DIE zu sein. Und gleichzeitig distanziert man sich von etwas, was in einem steckt und heraus möchte.
Das klingt noch immer nach. Der Satz (bis heute): „Hast du auch immer ein Kondom dabei?“, ist immer präsent. (Hier verweise ich daraufhin, dass es ja noch zig andere Geschlechtskrankheiten gibt, die zwar teils behandelbar sind, aber dennoch dem Körper ganz schön zusetzen können. Der Schutz mit dem Kondom ist daher gerade heute wieder eine wichtige Komponente - aber bitte für alle Menschen). Eine Mahnung und gleichzeitig Schuldzuweisung. Manchmal nur so dahingesagt.
Unreflektiert.
Und heute - zugegeben nach einem langen und schweren Weg – da gibt es gleichgeschlechtliche Ehen, offen lebende homosexuelle Politiker*innen, Künstler*innen, Sportler*innen und Promis, zahlreiche öffentliche und groß angelegte Veranstaltungen, wie die CSDs, Gay Pride Days und ein neben „m“ für männlich und „w“ für weiblich, ein amtlich eingeführtes neues Geschlecht:
„d = divers“.
Dennoch erleben homo- und bisexuelle und alle der LGBTQ+ –Gemeinschaft angehörigen Menschen nach wie vor Diskriminierung. Es wird auch von der Mehrheit der Befragten (über 80 Prozent) so insbesondere im verbalen und physischen Kontext wahrgenommen. In Bezug auf Formen klassischer Homophobie – also z.B. das offene Abwerten von Homosexualität als unmoralisch oder unnatürlich sowie das Absprechen gleicher Rechte – setzt sich zum Glück ein positiver Trend fort: Solche Positionen werden nur mehr von einem kleinen Teil der Bevölkerung geteilt (gut 10 Prozent).
Das gilt aber nur für einen Bruchteil der meist in Demokratien lebenden Gesellschaften.
Der Rest? Tiefste Dunkelheit.
Es ist also noch immer ein langer Weg.
Jede Zeit hat ihre prägnanten Entwicklungen, Erfolgsgeschichten und negativen Schlagzeilen.
Wir müssen dran bleiben.
So, keep on being open and live your life to the best.
Bis demnächst und Tschüss!
Comments