Aktuell 2012
DER NUSSKNACKER
Ballett Theater Nordhausen (Dir.: Jutta Ebnother)
Premiere 07.01.2012 / Großes Haus Theater Rudolstadt
(Uraufführung: Theater Nordhausen, 07.10.2011)

Premiere für Ballett "Der Nussknacker" in Rudolstadt
Sie springen durch die Betten, werfen mit Kissen, ziehen sich an den Haaren und sheen in ihren putzigen Kostümen aus, als wären sie gerade einem Bilderbuch von Wilhelm Busch entsprungen.
Und während die Kissenschlacht der garstigen Kinder tobt, sitzt Marie mit ihrem Köfferchen verloren am Bühnenrand und Bruder Fritz schaut dem Treiben traurig zu. So richtig scheint bei den Geschwistern noch nicht angekommen zu sein, dass sie ausgerechnet vor dem Weihnachtsfest in ein Waisenhaus umziehen müssen.
Mit diesen anrührenden, ungewohnten Bildern beginnt Samstagabend in Rudolstadt die Premiere zu Tschaikowskys Märchenballett "Der Nussknacker", traditionell in Kooperation mit der Ballettkompanie des Theaters Nordhausen. Choreograf Jochen Heckmann hat mit dem Waisenhaus nicht nur einen anderen Schauplatz für das Ballettmärchen gewählt. Er erzählt auch die Geschichte neu: ideenreich, fantasievoll, originell und mit viel Witz.
Während die mütterliche Frau Stahlbaum (zauberhaft: Fumiko Okusawa) versucht, Marie und Fritz das Eingewöhnen zu erleichtern, müssen sich die Geschwister der Angriffslust von Tim (Sergei Martinovich), Tom (Andras Virag), Tama (Alessandra La Bella), Rosa (Yuri Hamano) und Salome (Magdalena Pawelec) erwehren. Erst als der mysteriöse Pate Drosselmeyer (Thiago Fayad) mit den Weihnachtsgeschenken erscheint, wendet sich das Blatt. Marie verliebt sich in ihren Nussknacker, verteidigt ihn gegen die übermütigen Kinder und träumt sich in eine Welt, in der alles noch in Ordnung scheint: Die Rasselbande aus dem Waisenhaus ist plötzlich gar nicht mehr so schlimm, Bruder Fritz (Auke Swen) läuft als Superman zur Höchstform auf und der Nussknacker (David Roßteutscher) weckt ganz neue Gefühle bei Marie.
Heckmann, der auch die schlichte wie dem Geschehen angemessene Bühne gestaltet und in Kostümbildnerin Adriana Mortelliti eine tolle Partnerin hat, zeichnet seine Charaktere mit viel Liebe zum Detail. Vor allem im zweiten Akt findet er wunderbare Bilder: Zum arabischen Tanz wird getollt und Schnee geschippt, der chinesische Tanz wird zum ausdrucksstarken Soli für den verliebten Nussknacker, und beim russischen Tanz sausen die Tänzerinnen und Tänzer auf Rollschuhen, mit Roller und Fahrrad ausgelassen über die Bühne und liefern sich eine Schneeballschlacht.
Choreografisch überfordert Jochen Heckmann die Ballettkompanie von Jutta Ebnother zu keiner Zeit. Die Tänze für die Gruppe, darunter die Schneeflöckchen, sind temporeich und gut gestellt, haben Charme und Witz. Wunderschön anzusehen ist der Pas de deux von Stahlbaum/Drosselmeyer, bei dem Fumiko Okusawa und Thiago Fayad technisch wie ausdrucksstark Klasse unter Beweis stellen. Überhaupt scheint dem gebürtigen Brasilianer die Rolle des geheimnisvollen Drosselmeyer auf den Leib geschrieben zu sein. Spannungsgeladen bis in die Fingerspitzen treibt er die Handlung voran und gibt immer wieder Rätsel auf.
David Roßteutscher als Nussknacker hat schöne Momente, wirkt manchmal aber etwas blass, und auch der Pas de deux mit Marie ist wenig zauberhaft. Zauber hingegen verbreitet Irene Lopez Ros als anmutige Marie von der ersten bis zur letzten Minute. Wie sie die Ängste des Mädchens zum Ausdruck bringt und im Traum zur jungen Frau reift das ist hoch emotional und großartig getanzt. Heckmann, auch das ist stimmig und sympathisch, schickt am Ende einen Jungen als Neuankömmling ins Waisenhaus. Marie erkennt ihren "Nussknacker" sofort.
Für die ungewohnte, stimmige Nussknacker-Inszenierung mit der Ballettkompanie des Theaters Nordhausen und den hervorragend musizierenden Thüringer Symphonikern Saalfeld-Rudolstadt (ein Ohrenschmaus) unter Oliver Weder gibt es Samstagabend viel Applaus. Leider sind nur noch für die Vorstellung am 7. April Restkarten erhältlich.
Sabine Wagner / 09.01.12 / OTZ
Träume im Waisenhaus: "Der Nussknacker" in Rudolstadt
Schon werden die Weihnachtsbäume aus den Wohnzimmern verbannt, doch am Theater Rudolstadt entführt das Ballettensemble des Theaters Nordhausen Groß und Klein noch einmal in weihnachtliche Kindesträume.
Rudolstadt. Gastchoreograph Jochen Heckmann erzählt in Tschaikowskys Ballettklassiker "Der Nussknacker" die Hoffnungen eines Waisenkindes. Aus dem Graben erwecken die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt unter Leitung Oliver Weders Nussknacker und Kuscheltiere zum Leben.
Jochen Heckmann macht sich frei von der berühmten Choreographie Lew Iwanows nach dem Libretto von Marius Petipa, die großen Personaleinsatz fordert. Für die kleine Bühne entwickelt er mit der zehnköpfigen Balletttruppe eine Geschichte kindlicher Träume und Phantasie um die Waise Marie, die seit kurzem mit ihrem Bruder Fritz in einem schäbigen Kinderheim lebt. Mit Bettenhüpfen und Kissenschlacht eröffnet die Szene, in der Marie als Außenseiter präsentiert wird. Die Bewegungssprache ist kantig, die Gliedmaßen sind häufig gewinkelt, es herrscht großer Bewegungsfluss, turbulentes Treiben. Liebevoll kümmert sich die elegante Frau Stahlbaum (Fumiko Okusawa) um die Kinder und schmückt mit ihnen den Weihnachtsbaum. Plötzlich dunkelt sich die Orchesterfarbe ab, die Bühne erstrahlt in kaltem Blau, und Onkel Drosselmeyer betritt die Szene.
Den Schneeflocken fehlt die Anmut
Als "eine generell mysteriöse Figur" charakterisiert der Choreograph die dunkle Patengestalt. Seine Auftritte, die Thiago Fayad mit großer Bannkraft gestaltet, sind stets imposant, seine Gebärden eindrucksvoll. Er hat einen seltsamen Draht zu Marie und schenkt ihr einen Nussknacker. Als die Kinder zu Bett gegangen sind, greift sein Zauber: Der Nussknacker und die anderen Weihnachtsgeschenke erwachen zum Leben. In quirligem Bühnentreiben greifen Bär (Magdalena Pawelec), Mäusekavallerie, (Sergei Martinovich, András Virág, Alessandra La Bella) und Ballerina (Yuri Hamano) den Nussknacker an, der von Fritz Weihnachtsgeschenk, einem in heroischen Posen agierenden Superhelden (Auke Swen), erfolgreich verteidigt wird. Maries und des Nussknackers (David Roßteutscher) keimende Verliebtheit wird immer wieder tänzerisch durch Drosselmeyer dominiert, der Eleganz in die kindlichen Bewegungen Maries bringt. Der Wintertraum mit dem Tanz der Schneeflocken, die knicksend und zuckend von einem Bein aufs andere schwingen, wirkt wenig anmutig. Heckmann bringt zwar stets viel Bewegung auf die Bühne, doch gibt es in seiner Choreographie kaum Momente des Schwebens und der kunstvollen Körperspannung.
Der zweite Akt zeigt Maries Idealvorstellung vom Leben im Heim: Das Waisenhaus erstrahlt in blitzendem Weiß, die Kinder sind gut gekleidet und bieten Marie Frieden an. Ihr zu Ehren tanzen sie zu spanischen Idiomen Torero- und Stierimitationen und schaffen zu orientalischen Klängen aus dem Schnee eine Wüstenphantasie. Der Choreograph zeigt eine kindlich-freudige Parade des Hüpfens, Räderschlagens und Marschierens. Lediglich Marie ist gereift, die Bewegungen Irene López Ros gewinnen an femininer Grazie. Mit dem Nussknacker tanzt sie einen Pas de deux voll Hebefiguren. Drosselmeyer bleibt im Hintergrund, doch adaptiert das Mädchen einige seiner Bewegungen, lernt seinen Zauber.
Als sie am nächsten Morgen aber wieder im ärmlichen Kinderheim erwacht, ist alles wie zuvor - bis Onkel Drosselmeyer mit einem Neuling eintritt, der bestechende Ähnlichkeit mit dem Nussknacker hat.
War die erste Szene musikalisch durch große Intonationsschatten, fehlende rhythmische, wie technische Verve und fantasielose Melodiegestaltung geprägt, steigerten sich die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt zu einem passablen zweiten Akt. Wenig deutete Oliver Weder die hell-dunkel Korrespondenzen der Musik aus. Auch mangelte es den Traumwelten an verzauberndem Glanz und den Kantilenen an Intensität. Große Klangwirkungen gelangen erst in den Walzern des Finales.
Julia Stadter / 09.01.12 / TLZ