AKTUELLES / NEWS:

 

 

*** AKTUELL ***

 

NEWS / NEUES DEMNÄCHST AB 03. JANUAR 2024 

 

 

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! MEISTERKLASSEN

36. KUNSTSOMMER IRSEE 2024

mit Adriana Mortelliti

& Jochen Heckmann

Thema: "sFrom MINimum to the MAXimun ... and return"

 

vom

27. Juli - 04. August 2024

weitere Infos unter:

 

Anmeldefrist: 31. Mai 2024

www.kunstsommer.info

 

 

Abschlussaufführungen

und Vernissage

des

Kunstsommers Irsee 2024

 

KUNSTNACHT 

in Irsee 2024

 

SA, 03. August 2024

Start: 17:00

 

www.kunstsommer.info

 

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"DURST"

Tanz & Theater 

von Jacqueline Beck &

Jochen Heckmann

 

ein Tanztheater in der Choreografie von J. Beck & J. Heckmann, sowie Texten von JH und Bildern von JB.

 

Es tanzen und spielen:

Katja Langenbahn

Lea Korner

Egone Gerber &

Jochen Heckmann

 

Premiere:

25. November 2022 / 20:000

in der ehemaligen Gärtnerei Ospelt

Fukseriweg 26

FL.-9494 Schaan.

 

weitere Vorstellungenn

26.11.2022 / 20:00

27.11.2022 / 17:00

 

Tickets:

www.durst.li

 

 

 

 

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TANZPREIS der Stadt Zürich 2020:

 

 Jochen Heckmann und Frank Rutishauser (Schulleitung HF ZUB) wurden von der Stadt Zürich für ihre engagierte Arbeit als Pädagogen und Vermittler im Bereich Tanz mit dem «Tanz Preis 2020» ausgezeichnet.

 

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VIDEOS

JOCHEN HECKMANN /

choreografische Arbeiten 2002/2008-2011

VideoTrailers übere weitere einzelne Werke!

s. Galerie Fotos/Videos

Viel Spass dabei!

 

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Show Trailer

TheaterInKempten 

2015/16

 

"GSCHEIT(er) G'SCHEITERT /


better fa(i)lling"

 

 

Ch: J.Heckmann

Tanz:

A.Lambrichts, N. Sieber, M. Zollet, N. Lopez, S. Delvaux, J. Simon, M.Guenin

 

https://www.youtube.com/watch?v=qC_c7XUvhuU

 

 

 

 

 

 

 

Finalist Schwäbischer Literaturpreis 2008

 

WIE GESPENSTER

 

 Sie wussten nicht, wie lange sie hier oben schon gesessen waren, doch es musste eine ganze Weile gewesen sein. Eine kühle Brise umwehte sie und kündigte den nahenden Winter an. Aber noch konnte man hier sitzen und einfach nur schauen, sich treiben lassen und zur Ruhe kommen. Die ganze Nacht lang. 

Ein sich langsam steigerndes Vibrieren riss die beiden Betrachter aus ihren Gedanken und das große Erwachen unter ihnen kündigte sich an. In vielen Fenstern gingen Lampen an und das Flackern vermischte sich mit den bis dahin nur an den markantesten Orten hell ausgeleuchteten Punkten in der Stadt. Ganze Lichterketten begannen, wie sichtbar gewordene Stromstöße, durch ein System von verästelten Bahnen zu pulsieren und brachten eine oszillierende Lebendigkeit in das bis dahin vor sich hin schlummernde Häusermeer. 

Der Lärm ratternder Vehikel, rotierender Motoren, quietschender Reifen, hallender Sohlen und trippelnder Absätze vermischte sich mit den ruckartigen Atemstößen der Menschen, die ihr Ziel so früh am Morgen nicht aus den Augen verlieren durften. Alles sammelte sich auf den Straßen, Trottoirs und Kopfsteinpflastern, um den neuen Tag mit einem nicht aufzuhaltenden Crescendo einzuleiten. 

Hier oben auf dem Dach bekam man indes von all dem Trubel nur wenig mit. Man nahm ihn lediglich als ruhelose Geschäftigkeit umherirrender Ameisen wahr. Alles, was die idyllische Ruhe dort oben hätte stören können, klang, dank eines kühlen Nordwindes, nur noch wie ein beruhigendes Säuseln. Fast lautlos, wie Gespenster. 

Die Beiden saßen schon seit Stunden auf einem Mauervorsprung und konnten ihren Blick von dem dargebotenen Spektakel nicht abwenden und schwiegen. Alles lag in ihrem Blickfeld, nichts konnte ihnen entgehen und noch waren sie imstande, dem Tag zu trotzen. Über ihren Köpfen verhüllte immer noch ein schwarzer Umhang einen Teil des Himmels und die letzten aufblitzenden Sterne waren Signale aus einer fernen und doch seltsam vertrauten Fremde. Während des Rund-um-Blicks hielten sie so manches Mal inne, fast synchron, als ob sie einer gemeinsamen Intension folgen und genau das Gleiche wahrnehmen würden. 

Als die Morgendämmerung einsetzte und die Sonne sich mit ihren ersten Strahlen über den Horizont geschoben hatte, erloschen auf einen Schlag alle nächtlichen Orientierungshilfen. Von diesem Moment an lief alles auf Hochtouren, wie gewohnt. 

„Bist du bereit?“ fragte der eine seinen Sitznachbarn und blickte über dessen kurzen gewölbten Rücken hinweg. Dieser wendete sich ihm zu und nickte. Dann plusterte er sich auf, schüttelte den ganzen Körper und stieß sich von der Brüstung ab. Dabei entfaltete er seine schwarzen Schwingen und breitete sie in voller Größe aus. Schließlich schlug er seine Flügel dreimal mit kraftvollem Einsatz, segelte einen kurzen Moment in die Tiefe, wurde von einer Böe gepackt, wieder nach oben gehoben und verschwand auf der Seite, wo es noch Nacht war. 

„Ich bin aber noch nicht so weit ...“, rief der Zurückgebliebene dem Davonfliegenden hinterher. 

Erst als die Sonne ihren ganzen rotgelben Köper über den Rand des Horizonts geschoben hatte, dachte dieser an den bevorstehenden einstündigen Heimweg.

 

* * *

 

 Fünfunddreißig Stockwerke. Siebenhundertachtunddreißig Treppen. Der Abstieg war keineswegs leichter, als der Aufstieg. „Guten Morgen, ... Frau Kramer.“ schnaufte er vor sich hin, als er die beiden letzten Treppen hinab geschritten war. Die junge Frau hinter der Empfangstheke reagierte nicht. Nicht einmal ein Nicken. Sie saß auf einem Drehhocker, den Blick auf einen Monitor geheftet. Man konnte nur ihren Oberkörper hinter der Theke sehen. Ihre Bewegungen waren so kurzatmig und formal, als ob sich eine mechanische Puppe unter dem grauen Kostüm verbergen würde. Sie mochte nicht älter als fünfundzwanzig sein. Dennoch wirkte sie mit ihren streng zurückgegelten Haaren die in einem kleinen Knoten endeten und der fahlen Gesichtsfarbe um einiges älter. 

Doch was wusste er schon davon. Er kümmerte sich nicht einmal um sein eigenes Aussehen. In seiner Wohnung hing, bis auf einen kleinen Taschenspiegel im Badezimmer, kein Spiegel. Gelegentlich erhaschte er beim Vorübergehen in einem Schaufenster sein Spiegelbild, wandte aber den Blick sofort davon ab. Er wollte sich mit seinem Abbild nicht auseinandersetzen müssen. Er hatte sein Äußeres noch nie gemocht. Hygiene, Rasur und der wöchentliche Kurzhaarschnitt mit dem Ein-Millimeter-Aufsatz gehörten zwar zur morgendlichen Pflicht, jedoch betrachtete er dies eher als eine profane Tätigkeit, um in der Gesellschaft und besonders in seinem engeren Umfeld nicht aufzufallen. 

Kurzum, die Kramer mochte ihn scheinbar nicht. Sie ignorierte ihn, obwohl sie noch nie ein Wort miteinander gewechselt hatten. Dabei kam er jede Woche mindestens dreimal an der Rezeption vorbei - dienstags, donnerstags und samstags. Punkt acht Uhr morgens.

„Gut‘n Morgen Herr Bachl, sind‘s wieder die ganzen Stiegen runter g‘laufen - zu Fuaß. Hoi, das soll mal einer versteh‘n. Sie sind doch der Spezialist für die beid‘n Aufzüg dort drob‘n. Traun‘s der eignen Technik nicht über‘n Weg?“ 

Der Hausmeister hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein Schwätzer. Immer im blauen, frisch gebügelten Arbeitskittel und blitzblanken Sicherheitsschuhen. Mit der glänzenden Pomade und einem akkurat gezogenen Seitenscheitel, gelang es ihm die gesamte Kahlfläche auf der Mitte seines Schädels zu übertünchen. 

„Grüß Gott, Herr Abele. Ich trau‘ halt‘ lieber meinen Beinen.“

„Ja ja, und der G‘sundheit ist‘s auch zuträglicher ...“

„Einen schönen Tag noch.“

„Ebenfalls, ebenfalls ...“

Bachl trat durch die große Glastüre und stand endlich draußen. Er atmete tief durch, drehte sich nochmals um und sah, wie Abele mit geballter Faust auf die Theke klopfte. Dabei schreckte die Kramer auf und starrte den Hausmeister mit verstörtem Blick an. Das anschließende laute, hysterische Lachen von Abele klang bis durch das dicke Glas zu Bachl. Am liebsten wäre er wieder hineingegangen und hätte den Hausmeister vermöbelt. Doch er wusste, dass er dies nur in seinen kühnsten Träumen tun würde, also drehte er sich um und ging los.

 

* * *

 

 Nach vierunddreißig Schritten blieb er stehen. Neben der Eiche. Der Gehweg war zu Ende. Vor ihm die Straße. Hinter ihm der Hotelturm. Die Angst packte ihn immer erst nach diesen vierunddreißig Schritten. Es waren tausende und mehr zu seiner eigenen Wohnungstür, aber hier bei der Eiche verließ er sein Terrain. Er, der lieber in der Vertikalen hoch oben zu Hause war, hasste die horizontalen Wege. 

Er holte tief Luft, schloss die Augen, und wartete bis er sein Herz schlagen hörte. Dann ging er weiter. Erst ein Stück durch den Park, über die große Eisenbahnbrücke, weiter in die kleine Allee an mehreren alten Villen vorbei zum großen Platz neben der alten Wehranlage, einem der wichtigsten Knotenpunkte in der Stadt, an dem sich mehrere Hauptstraßen, zahlreiche Bus- und Straßenbahnlinien trafen. Dort hätte er in die Linie 36 steigen und bis kurz vor seine Haustüre fahren können. Aber er ging lieber zu Fuß. 

Früher zu Hause auf dem Hof war er auch immer alles zu Fuß gegangen. Selbst als er auf das Gymnasium ins nächstgelegene Städtchen wechselte, lief er bei jedem Wetter zu Fuß in die Schule und wieder zurück, denn in der Natur hielt er sich am liebsten auf. Wobei, es musste hell sein. Solange die Sonne ihren Einfluss auf die Farben nehmen konnte, fühlte sich Bachl draußen wohl. Die wenigen Male, die er sich bei Nacht in die freie Natur begeben hatte, glichen eher einem Gang durch eine Geisterbahn, als einem romantisch verklärten Ausflug. Im nur schemenhaften erkennbaren Gelände, das er bei Tageslicht in- und auswendig kannte, verlor er die Orientierung. Schwer zuzuordnende Geräusche, aufblitzende Augen wilder Tiere und die mondlose Dunkelheit im vermeintlichen Dickicht ließen ihn jedes Mal abrupt den Rückweg antreten, noch bevor er die brennenden Lichter seines Heimathofes aus den Augen verloren hatte. Er hatte nicht unbedingt Angst vor dem Dunklen, eher vor dem Gefühl der Orientierungslosigkeit. Die Nacht war nur hier in der erleuchteten Stadt erträglich. 

 

* * *

 

 Obwohl auf den Straßen noch reger Verkehr herrschte, waren die Fußgängerwege, Haltestellen und Schulhöfe mittlerweile wie leergefegt. Erst am alten Stadttor begegnete ihm eine kleine Schar von Kindern, die sich paarweise an den Händen hielten. Zwei Frauen standen an einem Zebrastreifen und versuchten, den richtigen Moment abzupassen, um die Gruppe sicher auf die andere Seite zu bringen. Am Ende der Schlange stand ein kleiner Junge ohne Partner im orangeroten Sicherheitswestchen. Er blickte Bachl an und schien darauf zu warten, dass er etwas näher zu ihm herantrat. 

„Er beißt nicht!“

Bachl nickte.

„Er heißt Kurt!“

Bachl nickte nochmals. Der Junge sah für einen Moment traurig aus, denn es war offensichtlich, dass er keinen Hund an der Hand führte. Bevor Bachl etwas erwidern konnte, setzte sich die Kinderschlange in Bewegung. Der kleine Junge winkte Bachl zu und bevor er sich versah, hob er ebenfalls seine Hand und winkte zurück. Plötzlich blieb der Junge mitten auf der Straße stehen, wandte sich zu Bachl um und rief: „Kurt! Sitz!“ Dabei klatschte er zweimal in die Hände, hob sofort seinen rechten Zeigefinger in die Höhe und hüpfte von einem weißen Streifen zum nächsten und wieder zurück. 

Geh weiter!, wollte Bachl ihm zurufen, da ergriff auch schon eine der beiden Kindergärtnerinnen die wild gestikulierende Hand des Jungen und zerrte ihn unter großem Protest mit sich davon.  

Bachl starrte auf die weißen Streifen auf dem Asphalt, als ob die Fußabdrücke des Jungen noch immer darauf zu sehen wären. Er stellte sich vor, dass die ausgesparten schwarzen Zwischenräume ebenfalls weiß wären. Dann dürfte vielleicht kein Auto mehr darüber hinweg fahren. Dann wäre dies eine verkehrsfreie Zone und jeder Gedanke, jede Idee könnte hier ausgelebt werden. Oder wie wäre es, wenn sich jeder nur einen kurzen Moment zwischen die weißen Räume legen würde, wartend auf den nächsten geeigneten Passanten, um sich an seine Sohlen zu heften und somit in die weite Welt hinaus getragen zu werden.

Ein lautes Hupen schreckte ihn auf. Er kniete mitten auf dem Zebrastreifen und war im Begriff, sich zwischen zwei weiße Streifen zu legen. Ein Autofahrer war ausgestiegen und bat seine Hilfe an. Ein anderer hingegen saß hinter dem Steuer, fluchte und tippte sich mehrmals mit dem Finger an die Stirn.

„Nein, danke! Es geht schon.“

„Soll ich sie in ein Krankenhaus fahren?“

„Danke, es geht schon wieder.“

„Es ist der Kreislauf, nicht wahr? Meine Frau hatte es auch immer mit dem Kreislauf ...“

„Mir fehlt nichts.“

„Sind sie sicher? So fängt das immer an. Man merkt nichts und dann ist das Leben schneller vorbei, als ...“ Ein mehrfaches Hupen unterbrach den älteren Herrn, der kopfschüttelnd zurück zu seinem Auto ging. 

Nachdem Bachl sich auf den Fußgängerweg zurückbegeben hatte, war der Verkehrsfluss wieder hergestellt. Er lehnte sich an eine Straßenlaterne und ließ die letzten Gedanken in seinem Kopf kreisen. Dann sammelte er sie, legte sie sich auf die Zunge, zermalmte sie mit langsamen Mahlbewegungen und spuckte sie schließlich auf die Straße. Er sah zu, wie sich sein Gedankenbrei zwischen die weißen Streifen zu legen versuchte, dabei platt gewalzt wurde und kaum noch die Kraft besaß, sich an irgendeinen schwarzen Gummi zu heften und sich mitreissen zu lassen. Dann war der Fleck plötzlich weg. Nichts mehr da, das ihn aus der Bahn hätte werfen können. Nur hohle Silhouetten passierten sein Blickfeld. Vorbeihuschende Schatten, die ihre Adressaten noch nicht gefunden hatten und viel Lärm machten. Viel zu viel Lärm um nichts. Sobald die Sonne den Zenit überschritten hatte, würde sich sowieso alles verflüchtigen und im polyphonen Rhythmus des Alltags untergehen. Doch da wäre er schon längst im Bett und würde schlafen. Den ganzen Tag lang.

 

* * *

 

 Sein Magen knurrte und der Duft frischer Brötchen erlöste ihn aus seinem Trott. Er war fast an seinem Ziel angelangt. Die Bäckerei nur noch wenige Schritte vom Eingang seines Wohnhauses entfernt.

„Zwei Brötchen, zwei ganz helle, bitte!“

„Wie immer, Herr Bachl!“ antwortete ihm die Frau hinter dem Tresen. Er blickte sie nur kurz an, versuchte ein Lächeln auf sein Gesicht zu setzen, was ihm aber misslang, legte ein Münzstück auf die Theke, nahm mit einem kargen „Danke!“ die Papiertüte entgegen und ging ohne weitere Worte zur Tür hinaus.

Als er vor seinem Wohnhaus ankam, blickte er kurz nach oben. Siebzehnter Stock, zweihundertachtundneunzig Treppen, dritte Tür links, im rechten Korridor. Es gab drei von diesen Hochhäusern. Alle waren genau nach dem gleichen Schema gebaut worden und standen in keinem sinnvollen Winkel zu einander. Sie nahmen sich gegenseitig die Sonne weg, der Wind pfiff zwischen ihnen hindurch, als ob er Spaß daran gefunden hätte, die Bewohner um ihren Verstand zu pusten und wenn sich der Regen austobte, verwandelte sich die um die drei Bauten notdürftig angelegte Parkanlage in ein schmuddeliges Sumpfgelände. Es gab zwei Aufzüge in jedem Haus, die jedoch von der Konkurrenzfirma stammten. Auch die benutzte Bachl nie. Vor der Wohnung angekommen, suchte er nach dem Schlüssel, fand ihn in seiner Jackeninnentasche und öffnete die Tür. Ein Zettel lag auf dem Boden: 

 

VIELEN DANK FÜR'S SARAH HÜTEN
DAS WAR WIRKLICH WIEDER EIN NOTFALL.

IHRE SABRINA

 

 

...

(weiter in der Anthologie:

"Leben in der Stadt" / Wißner-Verlag 

ISBN 978-3-89639-676-1)

 

J.Heckmannn / Juli 2008